Hans-Peter Jakobson
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung "VERWANDLUNGEN - neue Arbeiten für die KPM Berlin" in der Galerie Arcanum, Berlin am 7.10.2011
Meine Damen und Herren,
Sie sehen heute einen doppelt glücklichen Laudator vor sich!
Zum einen freue ich mich in dieser besonderen Galerie mit der ich mich seit dem vergangenen Sommer verbunden fühle, als Herr Münch und Herr Rothauge der Geschäftsführer der KPM uns in Gera besuchten, eine Vernissage eröffnen zu können,
Zum anderen freue ich mich sehr dass es Bärbel Thoelke und die legendäre KPM sind, denen ich die Laudatio halten darf.
In Bezug auf Sie liebe Frau Thoelke, erfüllt sich damit für mich ein jahrelang gehegter Wunsch.
Ich sage es ganz undiplomatisch und direkt:
Für mich ist Bärbel Thoelke die Grande Dame der zeitgenössischen deutschen Porzellankunst und im unikaten Porzellangefäß nach wie vor das Maß aller Dinge!Die Künstlerin nutzt wie kaum jemand anderes die sinnliche Strahlkraft des Weißes, ob als Bisquitporzellan oder partiell bzw. vollständig glasiertes Objekt ebenso, wie den ästhetisch spannungsvollen Kontrast zu farbigen Massen bis hin zu sattem Schwarz.
Die Farben strömen in kontrollierten, gleichwohl freien Fluss in das Weiß des Fonds, oder verteilen sich in feinstem Craquelee über die Wände der Gefäße.2
Auch fügen sie Schalen aus einem feinen Gespinst von weißen und dunklen Porzellanfäden.
Ebenso finden sich Objekte aus vollständig durchgefärbten Porzellanmassen.
Das verleiht dem Material eine besondere und ungewöhnliche Anmutung.
Ob Gefäße von linsenförmigem Querschnitt und geraden oder leicht zum Rand hin ausschwingenden Körpern, ob hohe Bechergefäße mit aufgelösten Rändern, filigrane Kummen mit unregelmäßig durchbrochenen, hauchzarten, meist mehrfarbigen Wandungen oder kompakte Kastengefäße – alle zeichnen sich durch eine überaus sensible Gestaltung sowie optische und haptische Qualität aus.
Mit fließenden Übergängen, maßvoll gerundeten Kanten, ausgefeilter Körperlichkeit, sicheren Proportionen und sparsamen, die Gesamtaussage mit bestimmenden, plastischen oder angegossenen farbigen Dekoren verleiht die Gestalterin ihren Schöpfungen seit mehr als drei Jahrzehnten Anmut und faszinierende Eleganz.Dabei erhält jedes Objekt solch eine Ausstrahlung und überzeugende künstlerische Ausdruckskraft, dass die Frage nach dem Gebrauch obsolet erscheint.
Es handelt sich um Kunstwerke, in denen das Wesen des Gefäßes, das Bergen und Bewahren, sowie das Verhältnis zum Raum auf ganz eigene poetische Weise überzeugende Gestalt findet.3
Erhält doch das vollendete Gefäß seinen Wert für den Menschen durch ein organisches„in sich selbst sein“.Diese beeindruckenden Werke sind die äusseren sichtbaren Erscheinungsformen, jener inneren Haltung ihrer Schöpferin, auf der deren besonderer Platz innerhalb der deutschen Keramik beruht.Bärbel Thoelkes künstlerische Haltung und Auffassung sind geprägt durch:
- eine ebenso meisterliche wie konsequente und disziplinierte
handwerkliche Arbeitsweise, als notwendige Grundvoraussetzung
für die adäquate Umsetzung der künstlerischen Ideen.
-reiche jahrzehntelange Erfahrungen
und - nicht zuletzt -
- eine außergewöhnliche Hingabe der Künstlerin an ihr Material und
ihre Arbeit, die sie ihr Tun nie als Last sondern als besondere Lust
empfinden lässt.
Darüber hinaus gibt es für mich noch etwas sehr wichtiges, das die Größe der körperlich kleinen Frau ausmacht:
Bärbel Thoelke ist sich und ihren Überzeugungen ihr Leben lang treu geblieben.
Sie geht ihren künstlerischen Weg still aber unbeirrt mit absoluter Folgerichtigkeit und hat sich niemals von ihren Grundüberzeugungen abbringen lassen.4
Tief verbunden fühlt sich Bärbel Thoelke dem Vermächtnis des Bauhauses. Allerdings pflegt sie ihre ganz persönliche Form der Auseinandersetzung mit diesem Erbe und folgt, wie man leicht erkennen kann, keinem radikal- mechanischen Funktionalismus.Sie widerstand und widersteht allen modischen Verführungen und gerade deshalb sind ihre Schöpfungen „zeitresistent“ und absolut aktuell.
„Das Gefäß ist meine Basis – für mich ein Thema ohne Ende.“
bekennt sie ihr gestalterisches Credo auch heute, in einer Zeit, in der ein betontes Streben nach Originalität das Gefäßschaffen ad absurdum führen möchte und dafür manches Krude und bizarre in der Keramik oder im Porzellan hervorbringt, in Wahrheit jedoch nur die Tendenz zur Gleichförmigkeit rasant verstärkt.
Das bedeutet keineswegs, dass die Künstlerin mit Scheuklappen durch die gegenwärtige Kunstszene geht. Ganz im Gegenteil.
Ich habe sie beispielsweise bei einer Jury als eine sehr verständnisvolle, allen neuen Ideen gegenüber aufgeschlossene Persönlichkeit erlebt, die es nicht verlernt hat, neugierig zu sein.
Auch bringt sie viel Toleranz gegenüber Versuchen und Experimenten jünger Kollegen auf, wenn sie darin ein ernsthaftes Bemühen um eine eigene gestalterische Sprache erkennen kann. Wo dies nicht der Fall ist, spricht sie jedoch ein zwar verbindliches aber kompromissloses Veto.5
Bärbel Thoelkes maßstabsetzende und beispielhafte Kontinuität sowie Klarheit des Gestaltens wirken wie ein Seil an dem entlang der
Sammler sich sicher und verlässlich auf schwankendem Grund bewegen kann.
Denn sie empfindet das Privileg des freien individuellen Schaffens auch als eine Verantwortung gegenüber ihrer Zeit und deren Menschen.Sicher und verlässlich für beide Seiten gestaltete sich auch die Partnerschaft zwischen ihr und der KPM.
Es bedarf heute besonderer respektvoller Hervorhebung, wenn sich ein solches Traditionsunternehmen wie die KPM – im Gegensatz zu anderen, bekannten Firmen - uneingeschränkt zu ihrer Geschichte und dem damit verbundenen traditionell hohen künstlerischen Anspruch bekennt und beides zur Grundlage der unternehmerischen Philosophie macht.
Immer wenn sich die KPM in ihrer Geschichte mit großen Gestalterpersönlichkeiten der Zeit verband, war das Unternehmen besonders erfolgreich.
Die Namensliste prominenter Künstler reicht von Johann Gottfried Schadow über Daniel Rauch im 18. und 19. Jahrhundert, setzt sich im 20. Jh. mit Theodor Schmutz-Baudis, Adolph Amberg, Ludwig Gies, Marguerite Friedlaender, Trude Petri fort und endet bei Siegmund Schütz, Wolf Karnagel oder Enzo Mari noch lange nicht.6
Bärbel Thoelke steht also am Beginn des 21. Jahrhunderts mit Recht in einer langen Traditionsreihe, die, dass hoffen wir alle, noch lange fortgesetzt werden wird.Der hohe Qualitätsanspruch von Autorin und Unternehmen gilt auch für jene Werke, die wir heute sehen.Es sind bereits die Ergebnisse der zweiten Auflage einer produktiven und freundschaftlichen, von gegenseitiger Achtung getragenen Zusammenarbeit zwischen den Partnern.
Zu denen gehört selbstverständlich auch diese Galerie, bleibt doch die beste Zusammenarbeit unerkannt, wenn sie nicht öffentlich sichtbar und auch zu erwerben ist.
Der Reiz für die Künstlerin wie für die KPM bestand in der engen und doch freien Kooperation miteinander. Bärbel Thoelke arbeitete in ihrem Studio mit der „speziellen“ KPM Porzellanmasse, der sie vieles abverlangen konnte, was ihr andere Massen verwehren (übrigens schwärmte sie mir gegenüber regelrecht von diesem Werkstoff) und sie brannte die Stücke in den Öfen des Unternehmens. So konnte sie deren besonderes Know hoff umfassend nutzen.
Die KPM ihrerseits profitiert von der gestalterischen Souveränität Bärbel Thoelkes, mit der sie die Traditionslinie des Unternehmens um weitere Meisterleistungen bereichert.
Die prachtvollen Ergebnisse stehen nun vor uns.7
Es ist der „klassische“ Formenkanon des Œuvres der Bärbel Thoelke, dem sie mit ihrem sicheren Gespür und hoher Sensibilität gegenüber dem Material immer wieder neue subtile Varianten hinzufügt.
Man meint die Zartheit und Leichtigkeit bereits mit den Augen wahrzunehmen und ist doch von dem tatsächlichen Gefühl überrascht, wenn man eine der Schöpfungen in den Händen hält.Kleinste Veränderungen der Proportionen, reliefartigen Strukturen oder die Farbgebung der Oberflächen sowie unterschiedlich eingefärbte Porzellanmassen, geben jedem Stück seine eigene unverwechselbare Identität und Individualität.In ihrer selbstverständlichen Klarheit und gestalterischen Souveränität erscheinen sie wie die Summe all dessen, was die Künstlerin auf ihrem bisherigen Weg geschaffen und erreicht hat.
Jedes einzelne Objekt existiert für sich und ist doch auch unerlässlicher Teil des abgeklärten reifen künstlerischen Universums der Bärbel Thoelke.
Die wunderbare und bewegende Poesie der Strenge.